Für den heutigen Menschen ist es schwer, zwischen Empfindung und Gefühl zu
unterscheiden. Auch die Abgrenzung gegenüber Denken und Wollen ist für die
meisten zumindest ungewohnt. Sie wird in unserer Kultur nicht beachtet. Will
sich jedoch der Mensch weiterentwickeln, so muß er heute gerade diese inneren
Vorgänge seiner Seele genauestens kennen- und zu unterscheiden lernen. Er darf
nicht in diesem üblichen Zustand des Nicht-Wissens verbleiben, was sein Denken,
Fühlen und Wollen betrifft.
Wahrnehmung wird über
den Stoffwechsel zur Empfindung
Die Empfindung entsteht an der Wahrnehmung. Die Sinne nehmen gewisse
Wirkungen in sich auf, indem bestimmte Partien der Organe partiell zerstört
werden. So zum Beispiel, wenn Licht in das Auge dringt, so verbrennt es gewisse
Partien im Augenhintergrund, die man als Sehpurpur bezeichnet. Je nach Gestalt
und Farbe des Gesehenen werden gewisse Schichten auf molekularer Ebene
abgetragen. Es kommt zu einer genauen Abbildung des Gesehenen am Augenhintergrund.
Diese Abbildung kommt durch Vernichtung ganz bestimmter Partien des Sehpurpurs
zustande, der nun durch den Stoffwechsel sofort wieder ausgeglichen werden muß,
damit weitere Bilder eingeprägt werden können. Das ganz geht sehr schnell
vonstatten, so daß wir auch sehr schnelle Prozesse mit den Augen verfolgen
können und ein jeder kennt den Effekt, wenn er z. B. die Speichen der Räder
sehr schnell fahrender Pferdewagen anschaut, wie von einer gewissen
Geschwindigkeit an, die Speichen verschwimmen und nicht mehr einzeln zu
identifizieren sind. Diese Erscheinung wird dadurch hervorgerufen, daß unser
Stoffwechsel nur bis zu 15 Bilder pro Sekunde einzeln aufnehmen kann. Das
heißt, ab 15 Bildern pro Sekunde hebt sich die Trennung zwischen ihnen auf. Ein
Bild geht in das andere über. Das ist gleichzeitig das Geheimnis des
Kinematographen, des Films. Wird diese Geschwindigkeit überschritten so
verwischen die Bilder und werden zu einem unerkennbaren Fluß, wie bei den
Speichen des Wagens. Es geht also ein sehr starker Stoff-Erneuerungs-Prozeß mit
der Sinneswahrnehmung einher.
Leben – die
nichtstoffliche Stoffbildung
Nun ist aber der Stoffwechsel nicht ein nur körperlicher Prozeß, sondern er
wird bewirkt von etwas, das die Wissenschaft nicht kennt und das ist das Leben.
Der Stoff unseres Leibes entsteht nicht einfach aus der Nahrung und Atmung
etc., sondern durch die Arbeit unseres nicht-stofflichen Lebens-Leibes. Die
Verdauung löst die Speisen in reine Kraft auf – z. b. durch Verbrennung in
Magen und Darm – und der Lebens- oder Ätherleib bildet ganz neuen Stoff aus dem
Geistigen heraus. Der Lebensleib ist ein außerordentlich aktiver Organismus,
der ständig den Stoff unseres Leibes erzeugt. Besonders aktiv ist er in unseren
Sinnesorganen.
Die Seele ist ein noch feinerer Organismus und registriert alle Aktivitäten
des Lebensleibes. Dieses Registrieren der Stoffwechselaktivitäten unseres
Ätherleibes geschieht in Form von Empfindungen. Wurde nun auf den
Augenhintergrund in einer bestimmten Struktur die roten Bestandteile vernichtet,
so muß der Ätherleib diese nachschaffen und es entsteht die Empfindung von Rot
in einer ganz bestimmten Schattierung. Wir empfinden eine rote
Gestaltung.
Auf diese Weise arbeiten alle Sinne und daher wandeln sich die sämtlichen
Sinneswahrnehmungen in der Seele in Empfindungen.
Empfindung macht
Wahrnehmung bewußt
Die Sinnesorgane selbst machen uns die Sinnesreize nicht bewußt.
Bewußtsein ist nicht eine Fähigkeit unseres Körpers sondern die der Seele. Sie
läßt uns die Wahrnehmungen bemerken. Allerdings wissen wir durch sie noch
nicht, was wir wahrnehmen, aber daß wir etwas wahrnehmen, zeigt die Empfindung
an. Und sie gibt durch ihre Eigenart auch einen Hinweis auf dieses „Was“.
Damit fordert sie das Denken des Menschen heraus, den zur Wahrnehmung
gehörenden Gedanken ins Bewußtsein zu rücken. Der Gedanke bzw. Begriff erklärt
die zur Empfindung gewordene Wahrnehmung. Und indem das geschieht, erkennen wir
das Wahrgenommene.
Gefühl als
Selbstwahrnehmung
Sobald wir erkannt haben, was wir wahrnehmen, stellen sich auch das Gefühl
und der Wille ein. Der Wille regelt das Verhalten. Das Gefühl aber prüft, ob
das Wahrgenommene sympathisch oder antipathisch ist, ob es zu uns paßt oder uns
abträglich ist und regelt dadurch wieder den Willen. Wir bemerken das Gefühl
seiner Qualität nach und erfahren damit, wie es uns mit dem Wahrgenommen geht.
Denn das Gefühl ist die Wahrnehmung des Ich durch die Seele. Die Empfindung ist
die seelisch gewordene Wahrnehmung der Welt, zu welcher auch mein Leib gehört.
Das Gefühl ist die Wahrnehmung meines seelisch-geistigen Selbst. Aber so wie
die Empfindung eines erläuternden Begriffes bedarf, so ist es auch mit dem
Gefühl: beide werden durch Gedanken erklärt.
Nun kommt es ja gewiß häufig vor, daß man meint, seine Gefühle nicht recht
zu verstehen. Das liegt aber nicht daran, daß man nicht versteht, was das
Gefühl besagt, sondern daß man nicht weiß, warum es so ist wie es ist. Man
versteht den Anlaß nicht. Aber man versteht, was es sagen will. Man hat bei
einer Angelegenheit so ein „komisches Gefühl“. Aber man erkennt nicht, warum.
Man hat das Gefühl, man solle das Vorhaben nicht wie geplant ausführen. Ein
Grund, es nicht auszuführen ist aber nicht zu erkennen. Daraus wird deutlich,
daß das Gefühl selbst wie auch die Empfindung keinen Gedankeninhalt hat,
sondern eine ganz anders geartete Erscheinung ist. Gefühl ist eine Wahrnehmung,
und zwar die der eigenen Wesenheit, die wie jede Wahrnehmung der Gedanken
bedarf, um verstanden werden zu können.
Gefühl regelt den
Willensfluß
Diese Wahrnehmung sagt aus, wie die wahrgenommenen Welterscheinungen zu
meinem tatsächlichen Verhalten bzw. auch zu meinem geplanten Verhalten passen.
Paßt mein Verhalten zu der wahrgenommenen Umgebung, so ist das Gefühl
sympathisch. Paßt aber mein Plan nicht zu dem, was wahrgenommen wird, so fühle
ich Antipathie, Furcht oder Abneigung. Das Gefühl hat dabei eine sehr wichtige
Funktion: Es regelt den Willens-Fluß. Bei Sympathie fließt der Wille
ungehindert, das heißt, ich handle unbeirrt. Bei Antipathie wird mein Wille
gedrosselt bis aufgehoben. Angenommen ich gehe eilig entlang einer
viel-befahrenen Straße und suche diese zu überqueren, so schaue ich immer
wieder auf die Fahrzeuge und suche eine geeignete Lücke zu erspähen. Der Wille,
die Straße zu überqueren ist da, aber er kommt nicht zur Ausführung, solange
nicht eine passende Lücke im fließenden Verkehr zu sehen ist. In diesem Falle
ist es nicht der Gedanke nur, der mir sagt, die Lücke sei zu klein, sondern es
ist vor allem das Gefühl, welches den Willen zur Tat zurückhält. Dann endlich
erscheint eine Lücke. Ich setze an zur Überquerung, doch da schießt plötzlich
ein Fahrzeug hervor, welches die von mir angesteuerte Lücke zum Überholen
nutzen will und schon schlägt mein Gefühl um und mein Schritt wird gebremst.
Das Gefühl greift direkt in die Tatkraft ein.
So vermittelt das Fühlen zwischen Denken und Wollen,
zwischen Erkennen und Handeln. Es bildet die Mitte unserer Seele und man
könnte es als eine Art Meßinstrument bezeichnen, welches das Verhältnis zwischen
Denken und Wollen angibt. Und während die Empfindung noch objektiven Charakter
hat, ist das Gefühl rein subjektiv, denn die Empfindung kommt vom Objekt, das
Gefühlt aber von Subjekt, von unserem eigenen Wesen.